Was macht man mit all den Notizen, den Satzbausteinen, den ganzen kleinen Ideen, die man hat, wenn man sich an das Schreiben macht? Wohin mit all den grandiosen Einfällen, die sonst nirgendwo Platz hatten, die vielleicht kein großes Ganzes ergeben, aber im Kleinen eine grandiose Geschichte erzählen? Tobias Premper und Martin Lechner fanden für das Buch „Gelati! Gelati!“ zusammen, um ihre Textideen, ihre Schmiede der Buchstaben in eine Buchform zu geben, die Kurzweiligkeit verspricht und dabei doch tiefgründig werden kann. Allerdings ist dieses Graben nach Sinn nicht im Vordergrund, sondern entsteht eher bei den LeserInnen, In diesem kleinen Werk haben die beiden insgesamt 99 Geschichten versammelt, keine länger als eine halbe Seite, manche nur ein paar Worte. Macht das Sinn und kann man daraus einen Erkenntnisgewinn ziehen? Dem soll in den kommenden Zeilen auf den Grund gegangen werden.
Ganze Leben auf wenige Sätze komprimiert
Ebenso wie ein Eis, dass bei Nichtbeachten innerhalb von Minuten weggeschmolzen ist, hat man binnen kurzer Zeit einen Teil dieser Geschichten gelesen, quasi aufgeschleckt. Und da ist wirklich alles versammelt. Während man es sich bei einem Roman mit einem Thema gemütlich macht und versucht, dieses genüsslich zu analysieren und seine Figuren durch Hochs und Tiefs zu geleiten, erfahren diese Miniaturen eine Verdichtung allerhöchsten Ausmaßes. Da werden innerhalb weniger Sätze Welten erschaffen und wieder zerstört, genügen wenige Zeichen, um ganze Leben von der Geburt bis zum Tod zu skizzieren oder auch nur einen Tag von einer Person. Dabei geht es nicht immer mit rechten Dingen zu, werden Worte verdreht, ihres Sinnes beraubt, anders wieder eingesetzt und ergeben was vollkommen Neues oder doch das Gleiche? Nicht jede Geschichte zeigt sofort ihr wahres Gesicht, manches muss man zweimal oder gar noch öfter lesen, um es zu verstehen. 99 Mal purer Normalität oder einfach nur schön schräg oder total überdreht, aber eines garantiert nicht: langweilig!
Drei Mal 33 ergibt irrsinnig viel Spaß
Was die beiden Autoren hier zu Papier gebracht haben, ist insgesamt die 99fache Abstraktion einer Geschichte, denn jede geht maximal über eine Seite, meist weniger und der Rest ist Leere, die man mit eigenen Gedanken füllen darf. Auf den ersten Seiten schaut man noch irritiert, ob da noch was kommt oder ob die nächste Seite die vorherige in irgendeiner Form fortsetzt (manchmal scheint es so). Diese Miniaturen irritieren, weil innerhalb weniger Zeilen schon so viel gesagt ist und man in Gedanken bei den Figuren bleibt, obwohl man schon längst zur nächsten Seite weiter gewandert ist. Dieses Buch kann man schnell hintereinander weg lesen, was aber nur den halben Spaß bringt. Oder man liest jede Geschichte mehrmals hintereinander, was bei dieser Kürze durchaus möglich ist. So kann man besser den Wortwitz erfassen, der diesen Miniaturen innewohnt, die sprachlichen Spielereien, die nicht immer offen zutage treten und die diese Geschichten so besonders machen.
Inhaltlich kann man nicht viel sagen, da hier ziemlich aufgeboten und manchmal die Realität über ein normales Maß hinaus verbogen wird. Doch immer liest man diese Miniaturen mit Gewinn und nimmt man etwas daraus mit und sei es ein Lächeln, das einen viel leichter durch den Tag trägt. Gerade in heutigen Zeiten ein unschätzbarer Vorteil.
Texte wie ein Maßanzug
Von den insgesamt Neunundneunzig Geschichten hat jeder der Autoren jeweils 33 allein geschrieben und nochmals 33 sind zusammen entstanden. Die Geschichten, die jeder einzeln geschrieben hat, haben dabei einen bestimmten Stil, einen gewissen Klang, so dass man meint, diese den jeweiligen Autoren zuordnen zu können. Doch das ist nicht möglich, wie man bei den Geschichten merkt, die beide zusammen geschrieben haben. Man merkt den Texten an, dass sie Arbeit gemacht haben und doch wirken sie so schwerelos, so leicht. Unbedingte Leseempfehlung, für Leute, die es gern kurz mögen oder auch die, die jeden Satz einzeln auf ihre Maße hin zu verstehen versuchen.
Martin Lechner, Tobias Premper
Gelati! Gelati! 99 Miniaturen
Azur Verlag
110 Seiten
20 Euro
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