Geiseln unserer Entscheidungen im Leben

Dieses Buch ist eine kleine Mogelpackung, aber eine, die es in sich hat und einen mit dem Titel vorerst auf eine falsche Fährte lockt. Es ist trotz seines geringen Umfangs von etwas mehr als 100 Seiten sehr vielseitig in seinen Botschaften und zeigt auf, wie vielfältig wir Geiseln sind. Vor uns, vor der Familie, den Freunden, der Arbeit, der Gesellschaft und der Vergangenheit. Dieses Buch zeigt auf, wie diese Geiselhaft durch unterschiedliche Aspekte unseres Lebens unsere gegenwärtigen Taten beeinflusst. Das zeigt dieses Buch auf beeindruckende, prägnante Weise.

Durchgetaktetes Leben

Wir lernen mit Sylvie Meyer eine Frau kennen, die gegenwärtig in einer nicht mehr ganz akuten Trennungsphase steckt und diese mit Arbeit kompensiert. Sie wird dort von ihrem Chef, mit dem sie bisher sehr gut zusammengearbeitet hat, dazu aufgefordert, ihre Abteilung zu optimieren. Die Firma muss Geld sparen, weshalb sie zuerst ihre Untergebenen überwachen und katalogisieren soll. Alles mit dem Ziel, die Schwächsten auszusortieren. Auch das macht sie umstandslos mit. Es kommen von ihr keine Widerworte gegen dieses Vorhaben und sie zieht die Vorgaben ihres Chefs gnadenlos durch. Bis sie an einen Punkt in ihrem Leben kommt, an dem ihr all das zu viel wird. Die Trennung von ihrem Mann, die Vorgaben von ihrem Chef und überhaupt ihr Leben, dass nur so von Männern diktiert zu sein scheint. Sie fasst einen folgenschweren Entschluss, der ihr bisheriges, durchstrukturiertes Leben völlig auf den Kopf stellen, sie aber auch von all ihren Geiseln befreien wird.

Schmaler Band mit großer Wirkung

Die Autorin Nina Bouraoui ist in Frankreich eine mit Preisen ausgezeichnete Autorin. Nur hier in Deutschland war sie bisher eine Unbekannte. Der Elster&Salis Verlag hat sich nun ihrem Debüt „Geiseln“ angenommen, ein zweiter Roman wird im Herbst veröffentlicht („Erfüllung“). Geiseln ist mit seinen etwas mehr als 100 Seiten schmal, hat jedoch eine Strahlkraft, die weit mehr beinhaltet, als es dieses „geringe“ Format vermuten lassen. In einem atemlosen Erzählstil zeigt uns die Protagonistin Szenen aus ihrem Leben und wie diese sie in Geiselhaft genommen haben, bis hin zu einem Ereignis, was sie als Frau für immer prägen sollte. Wie diese sie haben verstummen lassen gegenüber Unwidrigkeiten. Sie hat alles klaglos über sich ergehen lassen, bis das Fass übergelaufen ist und sie es nicht mehr ausgehalten hat. Sie erzählt uns, was sie getan hat und wie sie diese Tat für einen kurzen Moment befreit. Sie schaut nicht ohne Sorgen in eine Zukunft, in der sie angeklagt und ohne Job sein wird, doch sie konnte die Fesseln der Vergangenheit durch diesen einen Moment ablegen.
Das alles packt die Autorin in einen dichten Roman (Novelle?), den mensch atemlos zu sich nehmen wird. Diese 124 Seiten sind schnell konsumiert, doch ihre Nachwirkungen sind immens groß und lassen die Leser*in nicht mehr los. Es geht um das Leben einer Frau in einer männerdominierten Gesellschaft und wie sie sich als Frau in dieser Welt zurechtfinden muss und trotz aller Bemühungen immer wieder in ihren Entscheidungen von den Männern angetrieben wird beziehungsweise diese aufgezwungen bekommt. Und das von der Jugend an. Sie wirkt mit ihrem Tun nur nach außen hin zwar stark, innen ist Sylvie eine zutiefst verunsicherte und auch wütende Frau, die sich letztendlich nur mit den Mitteln der Gewalt befreien kann. Wird sie das retten? Das lässt die Autorin offen.

Nina Bouraoui
Geiseln
Aus dem Französichen von Nathalie Rouanet
Elster&Salis Verlag
128 Seiten
19 Euro  

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