Nicht aus dem Nichts kommt Olga Ravns Roman, aber ins Nichts hallen die Worte der Angestellten, die dem Buch seinen Titel geben.
Was die Angestellten in ihren Zeugenaussagen uns an Informationen liefern, setzt Lichtpunkte in dieses Nichts, aber auch sie umgibt die Dunkelheit, die uns Zuhörende im luftleeren Raum schweben lässt, wie das 6000er-Raumschiff, was es so besonders schwer macht darüber zu schreiben.
Es ist so vieles unklar. Man fragt sich, wo man sich eigentlich befindet und erfährt: in der Nähe eines Planeten mit dem Namen Neuentdeckung. Man fragt sich: In welchem Zeitraum wurden diese Interviews geführt? In welchem Zeitraum spielten sich die Ereignisse ab? In welchem Zeitraum…?
„Alles muss so lange reisen, um zu entstehen. Ich glaubte, dass diese Räume ein sicherer Ort für mich sein würden.“
Während man hier an den Wänden der eigenen popkulturellen Assoziationen entlang in Räume aus Alien- und Blade Runner-Filmen oder Star Trek-Folgen gelangt, merkt man auch, dass sich alles nur in den emotionalen Relativitäten der Figuren abspielt – die wiederum anonym bleiben, keine Namen bekommen, kaum Gesichter oder Körper. Man merkt, dass in der Polyphonie dieser Aussagen zunehmend die Kategorien von Raum und Zeit in Frage stehen: die dunkle Unendlichkeit des Weltalls erhält ihre Grenzen erst an der Erzählbarkeit, wo sich die Aussagen der Angestellten zu persönlichen Videobotschaften und Interviews geformt haben. Wir erfahren viel über das Leben an Bord, die Motivationen und nach und nach etwas über die Gründe, welche Veränderungen diese Interviews nötig und interessant gemacht haben.
In diesem lyrischen Anspielungsraum sitzen und sprechen die Angestellten zu einem Ausschuss, der das Ziel verfolgt, durch die Dokumentation ihrer Gefühle, ihrer Beziehungen und jeweiligen Einflüsse, zu verstehen, welche Auswirkungen die Entwicklungen auf Arbeitsmoral und Produktivität hatten. Manche der Cyborgs wünschen sich neue Updates, sobald ihnen klar wird, dass ihre Produktivität unter den aktuellen Bedingungen nicht optimal läuft; manche fragen nach der Grenze von Traum und Wirklichkeit; dem Unterschied zwischen Original und Reproduktion; Mensch oder Humanoid. Andere denunzieren – fast unfreiwillig – die Angewohntheit ihrer menschlichen Kolleg:innen, verkürzte Arbeitsabläufe für Pausen zu nutzen; wieder andere ihre Sehnsucht nach dem Geruch der gefundenen Objekte oder einem anderen Besatzungsmitglied – und nach Schnee der in ein Tal fällt.
Suche nach dem Grund
Indem sie nach und nach die Bausteine der Aussagen zusammensetzt erzählt Olga Ravn von einem Leben im abgeschlossenen Raum der Fabrik, der geschlossenen Gesellschaft und entwickelt gewissermaßen die Kultur-Natur-Dichotomie früher Dystopien insofern weiter, dass sie nicht mehr als Romantikerin daran glaubt. Nicht einfach Natur ist ein Ausweg, sondern der Ort, an dem der Totalitarismus der arbeitsteiligen Gesellschaft, das ewige Interview aus Überwachung und Authentizitätsfiktion – das sich in Ich-Botschaften von The Office bis Der Bachelor abzeichnet – endet.
Der Ort an dem es kein Problem ist, ein Mensch zu sein, d.h. im Gegensatz zu den Humanoiden eine endliche Zeitspanne zu haben, in der man Erfahrungen machen, Dinge und Gefühle erleben kann, die vielleicht selbst wieder eine Art Mosaik mit unklarer Anordnung sind, die aber gerade wegen ihrer Endlichkeit in der Sehnsucht münden, die den Roman bis zum Schluss trägt: nach festem Boden unter den Füßen.
Olga Ravn
Die Angestellten
Roman
Aus dem Dänischen von Alexander Sitzmann
143 Seiten
20,00 €
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