Marcel Piethe und Bettina Bergmann vom Ammian Verlag beschreiben in diesem Porträt die Gründerin des Verlags, Lucie Großer. Der Verlag folgt sowohl ihrem Credo „Heimat wieder Inhalt in seiner Vielfalt geben“ wie er sich auch immer wieder neu erfindet und als unabhängiger Verlag zur Vielfalt der Verlagslandschaft beiträgt. Der Beitrag ist gekürzt und erschien zuerst in der Ausgabe 127, „Frauen in Brandenburg“ der Mark Brandenburg.

Bild: Archiv Großer
Alles aus Liebe – die Verlegerin Lucie Großer und die „Mark Brandenburg“
Was für ein intensives Leben war das! Lucie Großer gründete Verlage, leitete Buchhandlungen und erforschte das Land rund um Berlin. Dem Begriff der „Heimat wieder Inhalt in seiner Vielfalt zu geben“, war ihr ein Herzensanliegen. Aber sie hatte nicht das Tümelnde im Sinn, wollte sich nicht mit den engen Grenzen ihrer Zeit abfinden – und emanzipierte sich in vielerlei Hinsicht.
Die Unstete
Als Lucie Großer am 23. November 1914 geboren wird, ist der Erste Weltkrieg gerade ausgebrochen und ihr Vater bereits an der Front. Die Mutter zieht mit den Kindern nach Fischhausen in Ostpreußen zur Großmutter und zu Verwandten. Sie wird später gute Erinnerungen an diese Zeit bewahren, besonders an die Erzählungen der Großmutter, die damit schon früh das Interesse des Mädchens an der Literatur weckt.
Der Krieg endet, und die Familie kehrt nach Berlin zurück, genauer gesagt: nach Köpenick. Lucie Großer wird diesen Bezirk zeit ihres Lebens ein Zuhause nennen. Bis 1933 ist sie eine sehr gute Schülerin, doch jetzt werden ihre Leistungen schwächer. Sie selbst vermutet, dass etwas Politisches dahintersteckt: „[Ich hatte] durch Schikanen der neuen Lehrkräfte besonders zu leiden, da bekannt war, dass mein Vater Sozialdemokrat war.“ Trotzdem: Befehlen zu gehorchen, ist nicht ihre Sache, und so beschließt sie, sich dem BDM anzuschließen, wird sogar Scharführerin. Doch das währt nicht lange: Schon ein Jahr später wird sie ausgeschlossen.
Sie macht das Abitur und muss nun für die Familie mitverdienen, denn noch immer ist das Geld knapp. Eigentlich will sie Kinderärztin werden oder Lehrerin. Beides bleibt ihr verwehrt – stattdessen tritt sie die unterschiedlichsten Arbeitsstellen an, zuerst in der „Schmollschen Samenhandlung“ in der Landsberger Allee 116 in Berlin. Dann wird sie Sprechstundenhilfe bei Dr. med. Reinhard Krönig in der Köpenicker Grünstraße, schließlich kaufmännische Angestellte in den „Cöpenicker Eiswerken Carl Fix“. Nach einer für Lucies Verhältnisse längeren Tätigkeit als Sekretärin in Berlin-Wilmersdorf wird sie Ende 1938 vom Reichsverband der freien gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschland e.V. eingestellt.
Hier betreut sie nun die Bücherei und die Fachzeitschriftenverwaltung. Schon nach kurzer Zeit schlägt sie Änderungen in der Auswahl der Bücher vor: „Die Bücherei im Krankenhaus soll dazu beitragen, die Freude am guten Buch zu wecken. Kriegsbücher und Tiergeschichten nehmen einen reichlich großen Raum ein. Es wäre besser, wenn möglichst viele verschiedene Schriftsteller aus allen Literaturgebieten vertreten wären. Schließlich fehlen ganz die Kinderbücher, und auch dem weiblichen Geschmack ist fast gar nicht Rechnung getragen.“ 1940 endet auch diese Anstellung.
Erste Schritte im Verlagswesen – von der Angestellten zur Geschäftsfrau
Sie arbeitet nun in einer Versandbuchhandlung für wissenschaftliche Literatur und legt 1942 die Prüfung zur Buchhandlungsgehilfin ab. Im Juli übernimmt sie die Buchhandlung Maria Hagls am Görlitzer Bahnhof. Mit knapp 28 Jahren ist sie Geschäftsführerin. Wenn auch schon diese Karriere für ihre Zeit außergewöhnlich ist, reicht sie Lucie Großer nicht – sie steigt ins Verlagsgeschäft ein. Schon 1943 wird sie Gesellschafterin im „Batschari-Verlag“, zusammen mit Walther Herforth. Wie alle Menschen damals unterliegt auch Lucie Großer gesellschaftlichen Regeln, die ihr nicht zugesagt haben dürften. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages ist sie gerade seit zwei Monaten verheiratet. Ihr Mann Kurt Großer muss jetzt mit seiner Unterschrift ihren Entscheidungen zustimmen.
Der Batschari-Verlag ist so erfolgreich, dass 1944 eine weitere Übernahme folgt: Lucie Großer erwirbt die „Breitkreuzsche Sortiments- und Antiquariatsbuchhandlung“. Unter dem Namen „Alt-Berliner Bücherstube“ führt Wolfgang Grünewald sie als Geschäftsführer. Er ist „Halbjude“ – die Anstellung schützt ihn vor Deportation. Grünwald schreibt später, dass die Buchhandlung nahezu ein „Sammelort für Antifaschisten“ gewesen sei. Auch die Polin Jenni Krajewski will Lucie Großer als Angestellte zu sich in die Buchhandlung holen, scheitert jedoch dieses Mal. Dafür hält sie die Buchhandlung bis zum Kriegsende offen. Trotz Fliegeralarmen und schrecklichen Zeiten kaufen Menschen weiterhin Bücher bei ihr, ein Umstand, der sie verwundert.
Am 7. Mai 1945, kurz vor der Kapitulation, stirbt Lucies Vater, nachdem er sich geweigert hat, russischen Soldaten den Aufenthaltsort einiger versteckter Frauen zu verraten. Für Lucie Großer ist der Tod des geliebten Vaters ein Schlag. Dagegen hilft nur: Arbeit. Der Plan steht bereits: ein Verlag, der den Menschen Mut macht und zeigt, wie schön Berlin einst war. Die Genehmigung für den „Altberliner Verlag, Lucie Groszer“ erhält sie zunächst in Form eines handschriftlichen Zettels mit Stempel vom 28.September 1945. Zu dieser Zeit reicht diese informelle Genehmigung aus für die Aufnahme der verlegerischen Arbeit. Die offizielle Genehmigung folgt dann am 29. Februar 1947 – gefilmt von der Wochenschau. Ihr Verlag ist nun Teil der Verlagsgruppe „Jugend und Welt“. Das hat Nachteile, denn kein Verlag darf ohne die Zustimmung der beiden anderen produzieren. Und so folgt im Oktober 1951 eine weitere Lizenz mit der Nummer 369, ausgestellt von Fritz Apelt, dem Leiter des Amtes für Literatur und Verlagswesen der DDR. Sie ist auf unbestimmte Zeit gültig und nicht übertragbar. Beides wird später wichtig werden.
Der erste Auftrag für den Verlag kommt von Lothar Grünewald, Wolfgangs Bruder. Er ist zu diesem Zeitpunkt im „Verband der Verfolgten des Naziregimes“ aktiv und einer der Menschen, die sie zu ihrer Entlastung benennt. Auch Lucie Großer soll sich „entnazifizieren“. Ihre kurze Mitgliedschaft im BDM bleibt nicht unbemerkt. Gegen eine nationalsozialistische Gesinnung sprechen sich ihre Freunde aus, deren Namen eine lange Liste füllen. Schon kurze Zeit später produziert sie „Grimms Märchen“ mit Scherenschnitten von Christel Cläre. 20,000 Stück werden an Waisenkinder verteilt.
Der nächste Meilenstein ist die Gründung der „Einheitlichen Berliner Verleger- und Buchhändlervereinigung“. Lucie Großers Name steht auf einer Liste mit Leuten wie Erich Schmidt, Otto Suhrkamp, Otto Luchterhand, Kurt Meurer. Alfred Holz und Rudolf R. Zech gehören ebenfalls zu den Initiatoren. Sie ist Vorstandsmitglied, leitet mehrere Ausschüsse und lehrt nebenbei an der Volkshochschule Weißensee.
Die Eigenwillige
So erfolgreich Lucie Großer beruflich auch ist, so schwierig gestaltet sich ihr Privatleben. Ihr Ehemann Kurt Großer kehrt nach Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft 1947 nach Berlin zurück. Wie so viele Paare dieser Zeit, haben die Ehepartner zu kämpfen. Im Januar des folgenden Jahres lassen sie sich scheiden. Aber die Ehepartner gehen keine getrennten Wege, sie regeln lieber alles neu: Lucie und Kurt Großer leben weiterhin zusammen, ziehen ihre Kinder groß, und – sie arbeiten zusammen. 1951 steigt Kurt Großer als Prokurist in Lucies Unternehmen ein und übernimmt vor allem den Vertrieb. Außerhalb des Verlags ist die Verbindung zwischen den beiden häufig unbekannt. „Ich mach das aus Liebe zur Chefin“, hören so einige überraschte Buchhändler in Berlin, wenn sie ihm Trinkgeld anbieten.
Zwischen Ost und West, zwischen Privat und Staat
Das wohl größte Verdienst Lucie Großers ist sicher die Aufrechterhaltung und die Pflege der Beziehungen zwischen Ost und West. Als Verlegerin erneuert sie abgerissene Verbindungen und vertritt die DDR auf der Leipziger Herbstmesse 1955 in einem gesamtdeutschen Buchhandelsgremium. Mit der Zeitschrift „Das Buch von drüben“, die ab 1957 erscheint, unterstreicht sie diese Bemühungen. Johannes Bobrowski schreibt für sie insgesamt 26 Rezensionen.
Als Folge ihres Engagements versucht die Staatsführung der DDR mehrfach, Anteile am Altberliner Verlag zu erhalten und auf diese Weise Einfluss zu gewinnen. Lucie Großer ist schon früh in die SED eingetreten – ein Umstand, der ihr jetzt sehr nutzt. Immer wieder findet sie Wege, sich gegen behördliche Einschränkungen durchzusetzen – besonders deutlich in den 1960er Jahren.
Doch immer schwierigere Umstände bringen Lucie Großer dazu den Altberliner Verlag schließlich 1979 an den Kinderbuchverlag Berlin zu verkaufen – und indirekt an die SED, die hier die mehrheitlichen Anteile hielt. Nach der Wiedervereinigung wird der Altberliner Verlag verkauft und nach seiner Insolvenz 2008 aufgelöst.
Die Heimatforscherin
Nach dem Verkauf zieht sich Lucie Großer aus dem Verlagswesen zurück und widmet sich ihrem Hobby, der Heimatforschung. Schon in ihrer Jugend hat sie beim Wandern rund um Berlin das Land und die Menschen intensiv erforscht. Sie kennt die Schleusenwärter mit Namen und auch deren Lebensgeschichten. Für ihren Geburtsort Grünau ist sie schon viele Jahre Ortschronistin, und ganz nebenbei schreibt sie einen Wanderführer für das Gebiet um die Müggelberge. Einer Veröffentlichung beim VEB Tourist Verlag kommt der Mauerfall in die Quere, und so gründet sie noch einmal, mit 76 Jahren, einen eigenen Verlag. 1991 erscheint dort als erstes Buch der Wanderführer. Eine Bekannte macht sie auf historische Literatur zum Land Brandenburg aufmerksam: Zwei alte Heftreihen, die in den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts erschienen waren – „Die Mark“ und „Brandenburg“, beides Zeitschriften für Heimatkunde und Heimatpflege – will die Verlegerin nun wieder mit Leben füllen. Es entsteht eine neue Zeitschrift: „Die Mark Brandenburg“.
Das Land Brandenburg zu zeigen, ist Lucie Großers Anliegen. Schon für die erste Ausgabe erhält sie den „Bundespreis für Heimatzeitschriften in der Bundesrepublik Deutschland“. Der Erfolg gibt ihr Recht: „Die Mark Brandenburg“ erscheint seit 1991 ohne Unterbrechung.
Literaturhinweis:
Marika Großer, Reinhold Großer, Mika Kaufhold, Marcel Piethe: DIE MARK BRANDENBURG – Retrospektive, in: Hie gut Brandenburg allewege. Landeskundliche Beiträge, Berlin 2010, S.11-22
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