Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde

»Wir lieben nur die, die sich widersetzen. Alle Übrigen dulden wir.«

maia - krieg der bastardeDer Roman Krieg der Bastarde von Ana Paula Maia stand im Herbst 2013 auf der litprom-Bestenliste Weltempfänger und zweimal auf der Krimizeit-Bestenliste – zwei Listen, denen es grundsätzlich zu trauen gilt. »Eine rasante, manchmal geschmackvoll geschmacklose, bizarre, obskur detailverliebte und sehr witzige tour de force durch die brasilianische Gegenwart«, urteilt die eine; schlicht »furioso!« befindet die andere. Der Chihuahua, der hier neben vielen anderen grotesken Gestalten einen Auftritt hat, findet sich auf dem Cover der deutschen Erstausgabe wieder, erschienen im Münchener A1 Verlag. Weitaus greller kommt die Ausgabe der Büchergilde daher und wirkt damit auf den ersten Blick plump, erweist sich im zweiten Moment jedoch als konsequent: Die Ausstattung passt perfekt zu dieser wilden Geschichte, den überbelichteten Bildern, den schnellen Cuts, zu all den unerhörten Dingen, die geschehen.

Und in einer Stadt wie dieser werden deine Verbrechen schon übertroffen, während du sie gerade noch begehst. Die Kirschen des Nachbarn sind immer besser, und seine Vergehen schockierender.

Der Titel und die Widmung – »Den Verkommenen, Maßlosen und Abtrünnigen« – verraten bereits viel über die Welt, die in diesem Roman erschaffen wird: Sie ist schmutzig, voller Elend, Niedertracht und Gier, und allerorten herrscht Krieg, auf den Straßen ebenso wie hinter den Häuserfassaden. Jener, um den es hier geht, wird ausgelöst durch das Verschwinden einer mit Kokain gefüllten Tasche. Sie gehört einem Pornoproduzenten und gerät versehentlich in die Hände des Darstellers Amadeu, der die Chance ergreift und die Drogen zu Geld macht, um mit seiner Freundin, der Boxerin Gina, ein neues Leben zu beginnen. Stattdessen kommt es zu seinem Ableben, er wird dummerweise von einem Auto überfahren, was jedoch kaum einer mitbekommt, und so jagen alle ein Phantom und bald jagen sie einander und ahnen dabei nicht, dass die Tasche ganz nah ist.

Amadeu hat sie unter den von Tauben zugeschissenen Dielen einer maroden Dachwohnung versteckt, das Mietshaus, in dem diese sich befindet, ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Dort findet Gina nach einem illegalen Boxkampf, der aus dem Ruder gelaufen ist, in derselben Wohnung Zuflucht, in der – was sie nicht weiß – wenige Tage zuvor Amadeu untergekommen ist. Darüber lebt ein Mann, der Schulden beim soeben beklauten Pornoproduzenten hat und von dessen Auftragskillern Edgar und Pablo aufgesucht wird – im Schlepptau den bereits erwähnten Chihuahua, der zuvor Pablos Augenbrauenpiercing verschluckt hat. Edgars Bruder Dimitri verliert indes seinen Job und bezieht die Dachwohnung, unter deren Fußboden das Geld lagert und in der schließlich alles mit ordentlichem Getöse zu Ende geht.

Irrwitzig ist vieles an diesem Roman: das Figurenpersonal, das einem Kuriositätenkabinett gleicht, die Tatsache, dass jeder mit jedem verbunden ist, die Haken, die die Handlung schlägt, und das Tempo, in dem sie vorangetrieben wird. Ganz zu schweigen von der Erzählsituation, die gegen jegliche Konvention verstößt: Ein Ich-Erzähler berichtet rückblickend, was sich abgespielt hat, obwohl er selbst erst auf Seite 75 – als ein »glanzloser, armseliger Statist« – Teil der Geschichte wird; irritierend ist dabei, dass er die Züge eines auktorialen Erzählers hat, also allgegenwärtig ist und die Gedanken sämtlicher Figuren kennt. Im Gegensatz zu Romanen wie Nino Haratischwilis Das achte Leben und Téa Obrehts Die Tigerfrau, deren Ich-Erzählerinnen in dem Versuch, der Vergangenheit auf den Grund zu gehen, mangels Quellen auf die Fantasie ausweichen und sich so gewissermaßen zu allwissenden Erzählerinnen erheben, wird diese Doppelrolle in Krieg der Bastarde nicht motiviert.

Oder ist genau das vielleicht mit jenen konfusen Zeilen im Prolog gemeint? »Wenn die Augen bessere Zeugen sind als die Ohren«, sinniert der Erzähler, »übermitteln dann die gesprochenen Worte den Augen und Ohren nicht auch überzeugender, wie man alles erzählt – oder täusche ich mich etwa?« Es ist nicht das einzige Mal, dass der Leser stutzt, gelegentlich bringen ihn schiefe oder umständliche Formulierungen aus dem Takt – in der Übersetzung von Wanda Jakob hätte noch manches geglättet werden können. Doch abgesehen davon besticht der Roman durch einen derben Ton und rasante Dialoge – dazwischen immer wieder mal ein stiller, poetischer Moment: »Nach dem Kampf hatte er Gina zu sich nach Hause gebracht, wo sie ihm alles erzählte, jede Einzelheit, während er sich verzweifelt ins Sofa verkroch, das zu Treibsand wurde.«

Zugegeben: Man muss sich einlassen auf dieses Buch, auf all seine Verrücktheiten, aber wer das tut, der wird belohnt. Es ist eine verflucht harte Realität, die in Krieg der Bastarde abgebildet wird, eine, in der es gilt, sich zu wehren, zu kämpfen, um nicht unterzugehen. Ein zentraler Satz, den die Figuren wie eine Losung einander immer wieder sagen, lautet: »Wir lieben nur die, die sich widersetzen. Alle Übrigen dulden wir.« Ein klassischer hard-boiled Stoff also, in dem jeder sich selbst am nächsten ist – und was macht Ana Paula Maia daraus? Einen wüsten, bisweilen ziemlich vulgären und ziemlich trashigen, vor allem aber sehr komischen Roman, der sich einen Dreck um Regeln und Grenzen schert und damit den Leser gehörig ins Schlingern bringt und gleichzeitig bestens unterhält.

Maia - Krieg der Bastarde (2)

Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Wanda Jakob. Büchergilde Gutenberg 2015, 224 Seiten, 15,95 €. / A1 Verlag 2013, 208 Seiten, 18,80 €.

Die Rezension ist zuerst auf SchöneSeiten erschienen.

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