Herbst 2023 ohne Indies? Eine Auseinandersetzung – Teil 1: Indies zählen

Wieder keine Unabhängigen auf der Shortlist (seit 2020)

Zuerst möchten wir allen, die vor einigen Tagen auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis gelandet sind, unsere herzlichen Glückwünsche für die Nominierung aussprechen. Doch die nachfolgenden Sätze entstanden aus einer Enttäuschung über die Bekanntgabe dieser aktuellen Shortlist heraus. Darauf aufmerksam machte etwa Ludwig Lohmann auf Instagram, der mit seinem Beitrag „Herbst 2023 ohne Indies“ darauf eingeht, dass bei vielen großen Preisen in diesem Herbst kein einziger unabhängiger Verlag auftaucht (für den Beitrag von Ludwig bitte hier entlang; klick – am besten auf dem Handy mit der App öffnen).
Zuerst wollten wir unserem Frust über eine erneute Shortlist des Deutschen Buchpreises ohne unabhängig verlegte Literatur keinen Raum geben. Zu schnell tappt man dabei in die Falle, zu polemisch zu werden, zu sehr sein eigenes Thema so zu verteidigen, dass man andere Seiten der Problematik vielleicht übersieht oder pauschalisiert. Und doch hat uns der Beitrag zum Nachdenken angeregt, dass vor allem in Deutschland (wie wir gleich sehen werden) immer noch die großen Verlage die zuverlässigeren Gewinner sind und wohl auch in Zukunft sein werden.

Daher haben wir das zum Anlass genommen, einfach mal pauschal zu zählen und trocken ein paar Zahlen auf den Tisch zu legen, die aufzeigen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Doch bevor wir loslegen, noch kurz an alle, die in irgendwelchen Jurys arbeiten und über diesen oder jenen Preis entscheiden: Seht es uns bitte nach, dass wir als Blog, der sich auf die unabhängige Literatur spezialisiert hat, genau dieses Thema auch vertreten und in den Vordergrund rücken. Dazu gehört auch, dass wir auf solche Punkte wie den folgenden aufmerksam machen (müssen). Das soll eure Arbeit nicht in irgendeiner Weise anzweifeln oder in Abrede stellen, sondern vielmehr den allgemeinen Missstand in den Vordergrund rücken, dass generell etwas nicht rund läuft in der Welt der Preisvergabe, wenn die Aufmerksamkeit immer nur auf wenige und auch gleiche gerichtet wird.

Zahlen, Daten, Fakten

Schauen wir uns doch mal die Zahlen etwas genauer an. In dem Beitrag von Ludwig Lohmann auf Instagram macht er auf die Tatsache aufmerksam, dass innerhalb Deutschlands keiner der großen, renommierten Preise einen unabhängigen Verlag in die engere Auswahl gezogen hat. Sei es beim Deutschen Buchpreis, dem Aspekte Literaturpreis für das Beste Debüt, dem Jürgen Ponto Literaturpreis und dem Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg, um die Beispiele zu nennen. Wenn man alle Literaturpreise abgrasen würde, die in Deutschland so vergeben werden, dann wird man sicher den einen oder anderen Verlag aus dem Segment der Unabhängigen finden. So zum Beispiel beim diesjährigen Bayerischen Buchpreis oder dem Internationalen Übersetzerpreis des VdÜ. Aber man muss da schon sehr genau hinschauen. Nüchtern betrachtet ist die Quote Große Verlage vs. „Klein“ bei allen hier genannten Preisen: 33:6. Was wirklich sehr ernüchtert, ist, dass von den 6 gezählten Indieverlagen 4 auf den Übersetzerpreis und 2 auf den Bayerischen Buchpreis zurückgehen. Davon abgesehen gibt es noch den Berliner Verlagspreis, der in den letzten Jahren bewusst auf unabhängige Verlage achtete. Bei allen anderen dagegen Fehlanzeige. Man kann hier nur kurz dagegensetzen, dass beim Deutschen Buchpreis zumindest für die Longlist 6 Werke aus unabhängigen Verlagen vertreten waren. Warum aber auch das zum Problem für diese Verlage werden kann, darauf kommen wir im Verlauf dieses Beitrags noch zu sprechen.
Bisher haben wir nur auf die Deutschen Buchpreise geschaut. Doch wie sieht es bei unseren Nachbarn aus? Hier haben wir uns einfach mal den Österreichischen, den Schweizer und den Franz-Tumler Literaturpreis ausgesucht, um diese Statistik ein wenig zu erweitern. Und welch‘ Überraschung! Hier schlägt die Quote erstaunlicherweise in genau die andere Richtung, nämlich bei großzügiger Auslegung auf 5:18 für die Unabhängigen beziehungsweise Kleinverlage. Großzügige Auslegung meint dabei, dass zum Beispiel der Verlag Jung&Jung seit der Übernahme durch Kampa nicht mehr als unabhängig zu bezeichnen ist und auch bei Kein&Aber streiten sich seit Jahren die Geister, ob er trotz seiner Unabhängigkeit noch zu den Indies oder schon zu den Großverlagen gehört. Wir haben beide trotzdem als Indies mitgezählt und selbst wenn diese beiden das Lager wechseln, ist das Pendel immer noch zugunsten der Indies ausgeschlagen. Doch warum ist das so? Warum sieht die Quote bei den großen Preisen in Österreich und der Schweiz so anders aus, dass sie, wenn man alle Preise zusammennimmt, für ein relativ ausgeglichenes Verhältnis sorgen? Dazu schauen wir uns doch die drei großen Preise genauer an und werten die Zahlen für den Deutschen, den Österreichischen und den Schweizer Buchpreis für die Jahre 2018 bis 2023 etwas genauer aus.

Indies zählen

Wir wollen in diesem Beitrag nicht allzu sehr in die Tiefe gehen, da wir gemerkt haben, dass man sich da ganz schnell in den verschiedenen Themen wie Förderung, Leseunlust in der Gesellschaft, Buchpreisbindung und vielem anderen mehr, ganz schnell verzetteln kann. Daher machen wir das einfachste und effizienteste, was uns möglich ist. Wir zählen und machen einfach ein bisschen trockene Statistik. Daher wollen wir die im vorherigen Abschnitt gezählten Verlage und die unterschiedliche Variabilität unter den drei großen Buchpreisen noch einmal mit weiteren Zahlen unterlegen und da kommt man wirklich ins Grübeln, wenn die Zahlen des Deutschen Buchpreises denen des Österreichischen und Schweizer Buchpreises gegenüber gestellt werden. Für diese Zählung haben wir uns die Jahre 2018 bis 2023 vorgenommen, und dabei nur die jeweiligen Shortlistnominierungen vorgenommen, da diese die längere und größere Aufmerksamkeit erzeugen beziehungsweise sogar erst dort mit Preisgeldern ausgestattet werden. Wir sind uns dessen bewusst, dass alle drei Preise unterschiedlich gestaltet sind und auch die Voraussetzung jeweils andere sind. Aber gerade so eine Gegenüberstellung kann auch essenzielle Unterschiede herausarbeiten, bei denen es wirklich lohnt, mal genauer hinzuschauen.

Eine Anmerkung zum Österreichischen Buchpreis: Für das Jahr 2023 haben wir die aktuelle Longlist nicht mit in die Zählung aufgenommen, aber für die Jahre 2018 bis 2022 jeweils auch die Nominierungen für das Beste Debüt mitgezählt. Lasst diese Zahlen einfach auf euch wirken.

VerlageAnzahl NominierungenAnzahl Verlage
Groß- und KonzernverlageGesamt
6316
Deutscher Buchpreis
3211
Österreichischer und Schweizer Buchpreis
3012
Unabhängige KleinverlageGesamt
4028
Deutscher Buchpreis
55
Österreichischer und Schweizer Buchpreis
3526
Anzahl der Nominierungen Shortlist in den Jahren 2018 – 2023

Wie im oberen Abschnitt schon angedeutet, kann man gerne darüber streiten, dass mancher Verlag nicht unbedingt zu den unabhängigen Kleinverlagen zu zählen ist, aber das Gesamtbild stimmt trotzdem immer noch und das zeigt, im Vergleich, große Unterschiede. Die Anzahl der Großverlage beim Deutschen Buchpreis und im Vergleich zum Österreichischen und Schweizer Buchpreis ist in etwa gleich und auch die Anzahl der Nominierungen sind im betrachteten Zeitraum in etwa ähnlich. Doch das Verhältnis zu den unabhängigen Kleinverlagen ist komplett anders. Während in den vergangenen Jahren, ab 2018, beim Deutschen Buchpreis insgesamt nur 5 unabhängige Verlage nominiert wurden (immerhin hat Matthes&Seitz einmal gewonnen), sind es bei unseren Nachbarn insgesamt 26(!) unterschiedliche Verlage, die im gleichen Zeitraum neben den Großverlagen nominiert wurden und teilweise öfter gewonnen haben, als es in Deutschland der Fall war.
Im Verhältnis der Anzahl der Nominierungen ergibt sich dabei beim Deutschen Buchpreis eine Gewichtung der Nominierungen von ca 86% zugunsten der Großverlage, während die Gewichtung beim Österreichischen und Schweizer Buchpreis in etwa 50:50 ist. Doch worin liegen die Gründe, dass diese Zahlen so unterschiedlich sind? Sind die Bücher, die in Deutschland beziehungsweise in Großverlagen veröffentlicht werden in den Augen der hiesigen Jury soviel besser als die aus den unabhängigen Häusern? Bewerten die Jurys in den Alpenländern so viel anders als wir? Was sind denn die Kriterien, die zu diesen und jenen Shortlisten führen? Ist die Verlags- beziehungsweise Förderkultur eine andere als in Deutschland?

Diesen und weiteren Fragen werden wir in Zukunft in weiteren Beiträgen auf den Grund gehen. Mit dem vorliegenden Beitrag wollten wir dem Beitrag von Ludwig auf Instagram mit der Überschrift „Herbst 2023 ohne Indies“ ein paar Zahlen beiseite stellen. Weitere, tiefer gehende Recherchen benötigen etwas mehr Zeit und einen kühleren Kopf. Mit den von uns zusammengestellten Zahlen jedoch kann jeder für sich schonmal eine Interpretation anstellen und diese versuchen, für sich zu interpretieren.

4 Antworten auf „Herbst 2023 ohne Indies? Eine Auseinandersetzung – Teil 1: Indies zählen

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  1. Auf die Frage, welche Probleme sich für kleine unabhängige Verlage durch die Nominierung ergeben können, habe ich leider keine Antwort gefunden. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen bei der „Jagd“ nach einem Exemplar von „Birobidschan“ (Longlist der Nominierten für den Buchpreis 2023) bzw. dem Warten auf Nachdruck, kann ich die Problematik nur erahnen, bin aber nicht sicher, ob ich richtig liege. Für Aufklärung bin ich dankbarN Mit freundlichen Grüßen Heidi Scholzen.

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    1. Hallo Heidi, ich hatte mit einer Verlegerin im Zusammenhang mit dem Thema geschrieben und sie bestätigte mir, dass gerade bei den kleinen Verlagen immer auch die Angst mitschwingt, die Nachfrage bei einer Nominierung auf die Longlist nicht sofort bedienen zu können, dann nachzubestellen, nur um bei einer Nichtberücksichtigung zur Shortlist auf den ganzen nachgeorderten Exemplaren sitzen zu bleiben. Das kann einem Verlag auch die Existenz kosten. Also ein Tanz auf der Rasierklinge zwischen Freude und Angst. Zum Beispiel hat Voland&Quist nun die Nachdrucke im Handel, aber es wird keinen mehr interessieren, weil die Karawane ist ja schon längst weiter gezogen.

      Viele Grüße
      Marc

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