Ein Sammelband, der sich lohnt: India Kandel (Hg.). Queere Tiere. Queere Perspektiven auf Veganismus und Mensch-Tier-Verhältnisse (Querverlag)

Die Welt um uns herum ist im ständigen Wandel. Während wir durch die Wirren des Alltags navigieren, sind es oft die Debatten um die essenziellen Themen, die uns aufhorchen lassen und uns dazu bewegen, unsere eigenen Überzeugungen zu hinterfragen. In den letzten Jahren hat sich eine solche Debatte in den Fokus der breiten Öffentlichkeit geschoben: Veganismus und (wieder; immer noch) Tierrechte. Doch dieser Wirbelsturm ist nicht isoliert zu betrachten, sondern er verwebt sich mit den drängenden Fragen unserer Zeit und legt eine Verbindung frei, die uns alle betrifft – die Verbindung zu unserer Umwelt, zu uns selbst und den Umgang miteinander.

In einer Ära, in der die Klimakrise uns unaufhaltsam vor Augen führt, wie eng unsere Schicksale miteinander verknüpft sind, entfaltet sich eine neue Dimension des Denkens. Doch es geht nicht nur um den Erhalt der Ökosysteme; es geht um das Fundament unserer Moral, um unsere Fähigkeit, Empathie zu empfinden und unsere Verantwortung gegenüber allem Leben anzuerkennen.

Ein noch tieferer Blick in dieses Netzwerk der Verbundenheit enthüllt eine weitere, ebenso faszinierende Dynamik. Die Verbindung zwischen Queerness und Mensch-Tier-Beziehungen, zwischen Tierrechten und der Art und Weise, wie wir uns selbst definieren und ausdrücken. Es ist ein Zusammenhang, der auf den ersten Blick vielleicht unerwartet erscheinen mag, aber bei genauerer Betrachtung eine beeindruckende Kette von Gemeinsamkeiten und Parallelen ans Licht bringt.

Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis war ich überrascht, neugierig und auch etwas eingeschüchtert: Die Titel lasen sich wie ein wissenschaftlicher Sammelband, intellektuell anspruchsvoll. Für wissenschaftliche Bände sollte für eine ordentliche Rezension etwas mehr Zeit eingeplant werden. Doch das soll nicht abschrecken.

Ich habe mir Zeit genommen und es hat sich gelohnt.

Der Sammelband „Queere Tiere“ öffnet die Türen zu diesen Zusammenhängen und lädt uns ein, tiefer zu graben, zu reflektieren und zu diskutieren. Von den Klischees der binären Geschlechterrollen bis zu den unergründlichen Nuancen tierischer (und menschlicher) Queerness, von den Lebensweisen, die sich am Rande der gesellschaftlichen Normen abspielen, bis zu den Mechanismen der Unterdrückung, die sowohl Menschen als auch Tieren widerfahren – dieser Sammelband ist ein Kaleidoskop der Perspektiven und Geschichten, die uns daran erinnern, wie viel mehr uns vereint als trennt.

Die Beiträge von herausragenden Stimmen wie Agnes Trzak, Daniel Hellmann (auch bekannt als Soya the Cow) und vielen anderen formen ein Mosaik aus Erfahrungen, Reflexionen, Kunst und Literatur. Sie erzählen von Selbstbestimmung, von der Vielfalt des Lebens und von der Bedeutung, die wir unserem eigenen Dasein auf dieser bunten Erde beimessen.

Willkommen in einer Welt, in der Empathie keine Grenzen kennt, in der die Vielfalt gefeiert wird und in der wir gemeinsam nach einem freien L(i)eben auf unserem bunten Planeten streben. „Queere Tiere“ eröffnet uns eine Tür zu diesem Universum des Wissens und der Einfühlung – treten wir ein

Natürlich kommt da auch den Musikkenner*innen die Assoziation zu Sookees „Queere Tiere“ zu 2017 auf, was den Titel des Buches noch charmanter macht. Ein kurzer Auszug:

In der Tierwelt wimmelt es nur so von Homos und Trans*
Delphinweibchen wissen was ne Flosse so kann
Walmännchen reiben ihre Prengel weil es schön ist
Nicht zu fassen, dass Menschen dagegen so blöd sind
Der halbe Meeresgrund ist Inter* oder wechselt sein Geschlecht

Die Herausgeberin India Kandel öffnet die Türen dieses Buches mit einer einladenden Geste. Sie erkennt an, dass der Weg zu einem veganen Lebensstil und einem aktiven Einsatz für Tierrechte nicht immer einfach ist. Doch sie führt behutsam in die komplexe Materie ein.

Es ist eine Reise des Entdeckens. Wir lernen, warum Aktivist*innen der Tierbefreiungsbewegung den Begriff „tierlich“ anstelle von „tierisch“ bevorzugen und wie sie Tiere als nichtmenschliche Individuen definieren. Mit Sternchen, Anführungszeichen und Fußnoten wird eine Distanz zu Begriffen geschaffen, die wir oft achtlos verwenden, und die Sprache wird dekonstruiert, um uns die tieferen Bedeutungsebenen aufzuzeigen. Dieses Vorgehen ist nicht nur ein sprachlicher Ansatz, sondern eine Methode, Ideologien wie Karnismus und Speziesismus, die die Grundlage für die Diskriminierung von Tieren bilden, sichtbar zu machen.

Das Buch webt ein Netzwerk aus Bezügen und Verbindungen, die eine Menge Gedankennahrung geben. Der Zusammenhang zwischen Queerness und den Themen des Buches offenbart sich auf faszinierende Weise. Einerseits finden wir die historische Verflechtung verschiedener Emanzipationsbewegungen wie Feminismus, antikapitalistischer Sozialismus und Vegetarianismus, die sich über die Jahre miteinander verwoben haben. Andererseits lebt der Bezug zum Queeren auch in den Biografien der Autor*¬innen, die ihre eigenen Erfahrungen der Diskriminierung in der Behandlung von Tieren wiedererkennen oder queere Erfahrungen nutzen, um über Mensch-Tier-Beziehungen tiefgründig nachzudenken.

Die Beiträge stammen von Agnes Trzak, Amelie Fink, Blu Doppe, Daniel Hellmann (aka Soya the Cow), Eni Lane, Hannah Engelmann-Gith, Hilal Sezgin, India Kandel, Jana Haskamp, Jchj V. Dussel, Jeff Mannes, Juli Decker, k_unstwerken, Kantom Azad, Lea Henke, Lea Marignoni, Linus Hanne, Lovis Noah Cassaris, Lydia Käufer, Lynn Fuchs, Max Helmich, Nafas, rosa* kato glück, Simon Kleinert und Smillo Ebeling.

„Queere Tiere“ ist ein Handbuch für diejenigen, die bereit sind, über den Tellerrand hinauszublicken, um die komplexen Verflechtungen zwischen Veganismus, Tierrechten und Queerness zu erkennen. Es ist ein Kompendium des Wandels, des Lernens und der Emanzipation. Ein Monument der Empathie auf dem Weg zu einem freieren, vielfältigeren Leben.

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Bis zum 27. August können alle über die Hotlist 2023 mitentscheiden. Die drei Bücher mit den meisten Stimmen bei der Wahl erhalten einen garantierten Platz auf der Liste der zehn Bücher des Jahres (sieben weitere entscheidet gleichzeitig die Jury). 30 Kandidaten (ausgewählt vom Kuratorium aus 196 Einsendungen) stehen zur Wahl (Vote here!).

India Kandel (Hg.)
Queere Tiere. Queere Perspektiven auf Veganismus und Mensch-Tier-Verhältnisse
Querverlag Berlin 2023
ISBN 978-3-89656-324-8
336 Seiten, Broschur
€ 20,-



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