Widerspruch wird nicht geduldet

Ein Künstlerleben in der DDR

Das Land, in dem der Sozialismus in seiner schönsten Form zur Blüte gelangen sollte, ist für viele, egal ob West oder Ost, nur noch eine schwache Kindheitserinnerung, wenn überhaupt. Als die Wende kam und alles anders wurde, blieb für die, die in den Achtziger geboren wurden ihre Kindheit dieselbe. An ein paar Dinge und Gerüche erinnert man sich zwar noch aus dieser Zeit, aber mehr zusammenhangslos, so dass man wohl eher ein unzuverlässiger Zeitzeuge wäre. Der vorliegende Roman von Rainhard Kuhnert, der im Mirabilis Verlag neu aufgelegt wurde, geht etwas weiter zurück in der Zeit. In die siebziger Jahre, der Hochzeit dieses sozialistischen Staates, der nun schon seit 30 Jahren nicht mehr existiert. An Wende war noch nicht zu denken, dafür hatten viele die Flucht im Kopf. Nicht so der junge Schrifsteller und Dramatiker Elias Effert. Er hat erste Bühnenstücke verfasst und Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben und auch manche Publikation steht an. Er glaubt an das System aber auch an die Möglichkeit des Widerspruchs. Doch dieser wird in der DDR nicht geduldet. Wer nicht in der Spur läuft wird solange ausgegrenzt und zermürbt, bis er entweder klein bei gibt oder aber sich stur stellt, seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann und letztendlich ins Exil ins getrieben wird. So in etwa ist es bei Rainhard Kuhnert geschehen und diesem hat er sich im Roman „Abgang ist allerwärts“ mit der fiktiven Form angenähert. 

Ein Haus auf dem Land als vorübergehende Rettung

Ein Dorf irgendwo bei der polnischen Grenze, Anfang oder Mitte der Neunziger. Ein Mann fährt zu einem ehemaligen Freund, um ihn nach langer Zeit zu besuchen. Als er dort ankommt, hat er eine Geschichte zu erzählen, die eng mit diesem Dorf verknüpft ist.

Elias Effert ist ein aufstrebender Autor in der DDR in den 60er/70er Jahren. Angefüllt mit Idealen, aber auch mit einer Portion Mut, um in seine Stücke Kritik am Staat und dessen Gebaren zu üben. Nicht nur unterschwellig, sondern auf eine gewisse Weise direkt. Das wird ihm nach und nach zum Verhängnis. Quasi über Nacht werden ihm längst zugesicherte Aufträge entzogen oder sogar nicht mal mehr genehmigt. Nach und nach ziehen sich alle „Freunde“ von ihm zurück und bald erscheint ihm Berlin nur noch wie ein trostloser Ort.
Doch Effert hat einen Rückzugsort. Außerhalb von Berlin, nahe der polnischen Grenze, hat er sich ein Haus gekauft und baut dieses nach und nach zu seinem kleinen Refugium aus, wo ihm dieses Schneiden und Erpressen seitens des Staates nichts anhaben kann. Anfangs belächeln ihn die Anwohner noch als den verwöhnten Künstler und Stadtmenschen, der nicht lange bleiben wird. Doch mit der Zeit merken die Bewohner, dass er sich einbringt und Effert merkt, dass ihn der ganze politische Irrsinn, mit dem die Kultur verseucht ist, nicht bis in das kleine Dorf verfolgen kann und er dort sicher ist. Doch das bleibt nicht ewig so. Auf einer Faschingsfeier im Nachbarort kommt es zu einem folgenschweren Vorfall , der diese Meinung Efferts ins Wanken bringt und seine kleine Idylle bedroht.  Letztendlich steht er einer Flucht aus diesem Staat immer aufgeschlossener gegenüber.

Eine leise Rückschau in längst vergangene Zeiten und Gebaren

Dieses Buch ist ein sehr ruhiges, melancholisches geworden, was in seinem Kern auch logisch ist, denn es ist eine Rückschau, die Elias Effert seinem Freund erzählt und da schwingen solche Gedanken eben mit. Doch erzählt uns Kuhnert über die Figur Effert auch etwas aus seiner eigenen Vergangenheit, aber in literarischer Form. Denn Kuhnert hat ähnlich wie Effert zarte Erfolge in der DDR gefeiert, bevor er vermutlich nach und nach vom System geschnitten wurde und er gezwungen war ins Exil zu gehen. Diesen Vorgang bringt er mit Effert zum Vorschein, der sich aber lange Zeit nicht sicher ist, ob er fliehen oder sich der Situation stellen soll. Doch neben diesen politischen Muskelspielen, die auf der Kulturebene damals sicher gang und gäbe waren, baut Kuhnert noch eine zweite Ebene ein, einen zweiten Handlungsort, der von alledem nicht berührt scheint. Er beschreibt das Landleben auf dem Dorfe als die letzte Idylle, wo man vor dem Willen der Staatssicherheit und deren Gebaren sicher war. Für viele ein Trugschluss, den auch Kuhnert in diesem Buch wunderbar einzufangen weiß. Man lässt sich einlullen von dem Dorfleben, vom Gang in die Kneipe und den Vorgängen im Dorf, über die man entweder belustigt lächelt oder etwas verdruckst wegschaut.
Das alles bettet Kuhnert in eine sehr ruhige Erzählung, die manchmal etwas betulich vor sich hin plätschert und gerade dadurch die Unentschlossenheits Effert sehr stark untermalt. Gerade die Szenen im Dorf, die ihn immer wieder zum Bleiben anregen, sind voller solcher Momente, manche komisch, manche seltsam, manche auch beschämend, doch bei allem, was da passiert merkt man, dass diese Menschen eigentlich ehrliche Seelen sind. Doch das eigentlich steht da nicht umsonst, denn kaum streckte die Staatsmacht der DDR ihre Fühler auch in die letzten Winkel aus, ist auch manche ehrliche Seele nicht davor gefeit, vereinnahmt zu werden. Doch davon bekommt Effert nichts mehr mit, denn da ist er schon längst geflohen.
Was bleibt von der Zeit auf dem Dorf ist vor allem, dass sich alle irgendwie gegenseitig helfen. Die vielbeschworene Solidarität unter den Mitmenschen hat hier sicher am längsten gehalten. Und doch hatten auch diese Menschen ihre ganz alltäglichen Probleme, wie überall sonst auf der Welt. Diese wurden dann in der Kneipe unter Hektolitern Bier und Schnaps begraben bis es wieder heißt „Abgang ist allerwärts“, wenn einem die Leber versagte.  

Reinhard Kuhnert
Abgang ist Allerwärts

Mirabilis Verlag
240 Seiten
20 Euro

6 Antworten auf „Widerspruch wird nicht geduldet

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  1. Hat dies auf Birgit Böllinger rebloggt und kommentierte:
    „Elias Effert ist ein aufstrebender Autor in der DDR in den 60er/70er Jahren. Angefüllt mit Idealen, aber auch mit einer Portion Mut, um in seine Stücke Kritik am Staat und dessen Gebaren zu üben. Nicht nur unterschwellig, sondern auf eine gewisse Weise direkt. Das wird ihm nach und nach zum Verhängnis.“ Ein Buchtipp zum Tag der deutschen Einheit.

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