Eine Abreibung für den Literaturbetrieb

Ein tiefer Fall von unten nach unten

In den letzten Jahren ist immer mehr zu beobachten, wie versucht wird, Literatur zu trennen. Da gibt es die Literatur, die von Männern geschrieben, von Männern rezipiert und vornehmlich von Männern gekauft wird. Sie reproduzieren oft immer wieder dieselben Bilder und Geschichten oder, wie zuletzt wieder beobachtet, versuchen, ein Feld abzugrasen, was Themen beinhaltet, die eigentlich Frauen betreffen, und diesen dadurch die Worte wegnehmen, die eigentlich den Frauen vorbehalten sind und sie so erst recht zum Schweigen gebracht werden. Und es gibt Frauenliteratur. Wenn man diese Einteilung weiter verfolgen würde, dann wäre Marlen Hobracks Debütroman wohl klassische Frauenliteratur. Es geht um eine weibliche Hauptfigur, die wider Willen in eine patriarchale Idee hineingezogen wird, kurz von dieser verrückten Idee profitiert, nur um dann von allen beteiligten Personen fallen gelassen zu werden, wie eine heiße Kartoffel und am Ende wieder da zu landen, wo sie immer schon war und in den Augen vieler auch hingehört. Doch zum einen greift die Inhaltsangabe viel zu kurz und auch die Einteilung in die erwähnte Sparte ist ebenfalls Quatsch, denn Marlen Hobrack bietet hier ein weites Feld an diskussionswürdigen Szenen ab, die zwar vornehmlich Frauen betreffen, aber uns in der Gesellschaft als Ganzes angehen. Es geht um Machtmissbrauch und –strukturen, um ein gesellschaftliches Problem niederer Arbeiten und deren Bezahlung, der problematische Umgang mit sozialen Medien, um Depressionen und vieles mehr. Es könnte schnell überfrachtet wirken, aber die Autorin versteht es sehr gut, diese vordergründig recht einfache Geschichte in einen lockeren Ton zu packen, aber trotzdem so ernst zu erzählen, dass einem das Schicksal der Hauptfigur wirklich nahe geht und man zum Ende hin regelrecht mit ihr mitleidet.

Wie Schrödingers Katze in zwei Wirklichkeiten

Der Titel mit Bezug auf Schrödinger und dem damit verbundenen Bild zweier Wirklichkeiten, von der nur jeweils eine wirklich beobachtet werden kann, je nachdem, unter welchen Umständen man den entsprechenden Raum beobachtet, ist für das Buch und die damit verbundene Geschichte rund um Mara Wolf richtig gut gewählt. Denn Mara, um die sich diese Geschichte dreht, ist in etwas hinein geraten, was sie nicht versteht und sich vollends von dieser Situation davon treiben lässt. Mara Wolf hat die Schule aufgrund von Mobbereien nicht zu Ende gebracht und ist ohne Abschluss. Seitdem treibt sie ohne Antrieb und mit Depressionen beschlagen durch die Welt, kann sich oft nicht motivieren, überhaupt aus dem Haus zu gehen und schleppt sich von Termin zu Termin bei ihrer Betreuerin vom Amt, damit ihr wenigstens die Sozialleistungen nicht gekürzt werden. Doch auch so mischt sich Mara kaum unter Menschen, selbst mit ihren Freunden unternimmt sie kaum etwas, ist schnell von den einfachsten Angelegenheiten überfordert. Dazu hat sie noch ein ausgeprägtes Social-Media-Sendungsbewusstsein, indem sie sich selbst dort immer wieder in neuester und schriller Mode inszeniert. Dazu benötigt sie immer wieder neue Klamotten und Kosmetika, die für diese Zwecke bestellt beziehungsweise ausprobiert und dann wieder zurücksendet werden. Doch sie behält da bei weitem nicht den Überblick und hat zu all ihren Problemen auch ein Schuldenproblem.
In diese Situation platzt Hanno, ein PR-Manager, der mit Mara ein Experiment starten will und Mara für ihn quasi das perfekte Opfer darstellt. Hanno hat einen älteren Autor in seinem Portfolio und dieser hat ein Buch geschrieben, dass eigentlich genau die Lebenswelt von Mara widerspiegelt. Da dieser Autor aber in seiner arroganten Weltsicht meint, dass ihm niemand dieses Buch abkaufen wird, muss Mara als Gesicht und damit als vermeintliche Autorin für dieses Buch herhalten. Es ist ihr quasi wie auf den Leib geschrieben. Und so kommt eines zum anderen in diesem von Hanno erdachten und als wasserdicht bezeichneten Plan. Mara wird so in einen Strudel aus (Miss)-Gunst, patriarchal getriebenem Literaturbetrieb und völlig überdrehtem Feuilletonbetrieb hineingezogen und kann aus alldem auch nicht mehr zurückziehen. Doch wie lange wird diese Lüge Bestand haben?

Ich habe dieses Buch geschrieben, Ich habe dieses Buch nicht geschrieben

Ähnlich wie bei Schrödingers Katzengedankenspiel, bei dem man nicht weiß, ob die Katze nun tot ist oder quicklebendig und der Beobachter den Zustand erst in Erfahrung bringt, wenn die Box geöffnet wird, in dem sich die Katze befindet, wird Mara in diesem Experiment hin- und hergeschoben zwischen verschiedenen Zuständen. In dem einen Moment beobachten wir einen aufstrebenden Literaturshootingstar wider Willen und im nächsten sehen wir dieselbe Mara in ihrer normalen Umgebung, bei den Freunden, ihrer Mutter und vor allem allein zu Hause mit ihrer Katze, um die sie sich kaum kümmert. Doch diese Mara läuft immer mehr einem Kollaps entgegen, dem wir an dieser Stelle fasziniert zusehen. Es ist wahrlich keine Wohltat, wie die Autorin mit ihrer Hauptfigur umgeht, die wie durch einen Fleischwolf in das Haifischbecken Literaturbetrieb geworfen wird. Dabei deckt die Autorin schonungslos so ziemlich jeden Punkt auf, den diesen Betrieb ausmachen. Sie zeigt anhand von Mara auf, dass es eigentlich völlig unmöglich ist, so völlig aus dem Nichts mit einem Buch aufzukreuzen. Da werden im Vorfeld irgendwelche Textstellen lanciert, auf irgendwelchen Bühnen gelesen und vieles mehr, ergo man muss sich eigentlich mit der Ochsentour hocharbeiten. Insbesondere als junge Frau ist man da auf Unterstützung angewiesen, die meistens männlicher Natur ist. Selbstverständlich geht das auch Mara so, doch ist sie vielmehr Spielball eines Experiments, was vor allem vom eigentlichen Autor des Buches vorangetrieben wird. Anfangs kritische Stimmen werden dann aber mit einem Handstreich beiseite gefegt, denn es ist auch so, dass man auch als Shootingstar aus dem Nichts dann doch irgendwann wahrgenommen wird und es wird kaum noch hinterfragt, woher denn diese Autorin auf einmal kommt.

Und dann sind hier noch die männlichen Figuren, die bis auf die Ausnahme des Therapeuten, den Mara irgendwann im Laufe der Handlung aufsucht, um zu lernen, mit ihren depressiven Phasen umzugehen, alle nicht gut dastehen. Sei es der Mitbewohner in der WG ihrer besten Freundin, die ihr nur Verachtung entgegenschleudert oder der Agent, der den ganzen Deal einfädelt, der Autor, der sein Werk Mara anscheinend aus freien Stücken überlässt, bis hin zu dem Fotografen, der Mara für das Buch ablichtet. Alle behandeln Mara herablassend, begreifen sie mehr als Objekt, denn als Mensch und das lässt beim Lesen eine unglaubliche Wut gegenüber all diesen Personen aufkommen, da sie Mara nur für ihre eigenen Vorteile und Momente ausnutzen, ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass sie Mara keinen Roboter vor sich stehen haben, der das einfach so wegstecken wird.

In dieser Gemengelage spielen auch noch die Städte Dresden und Berlin eine gewisse Rolle, in denen diese Geschichte hauptsächlich abläuft. Auf der einen Seite wird Dresden oft herablassend als „Provinz“ bezeichnet, wo das bisschen Kunst noch keine Weltstadt ausmacht. Ganz im Gegenteil wird Dresden vor allem von seiner etwas glanzloseren Seite gezeigt. Gerade durch das Lebensumfeld von Mara, die wegen ihrer Sozialleistungen immer wieder vorstellig werden muss, um diese nicht zu verlieren, wird ein Milieu aus Arbeitslosen und mit Arbeit im Niedriglohnsektor vorgestellt. Dem entgegen steht Berlin  als Stadt, in der das Leben pulsiert, wo die Dinge noch angegangen werden, wo Literatur gearbeitet und geschaffen wird. Dresden wirkt dabei für Mara als eine Art Refugium, ein Rückzugsort, wo sie sich von all dem Trubel erholen kann, der ihr diese Buchnummer eingebracht hat.

Ein Debüt mit spitzem Fingerzeig

Marlen Hobrack ist mit Schrödingers Grrrl ein wirklich außergewöhnliches Debüt gelungen. Sprachlich zwar eher auf der sicheren Seite, zieht die Autorin eine Geschichte mit einer außergewöhnlichen Hauptfigur aufs Papier, denn Mara hat so gar keine Motivation aufzuweisen, diese Geschichte voranzutreiben. Vielmehr ist sie die Getriebene, von den Umständen, vom Literaturbetrieb und ihrer eigenen Geschichte, die ganz zufällig auch Inhalt des Romans ist, den sie nicht geschrieben hat. Daraus entsteht all die Spannung in der Geschichte und man fiebert mit Mara regelrecht mit, wie weit sie es mit diesem Buch bringen wird und wie ihr diese ganze Sache um die Ohren fliegen wird. Denn eines ist von Anfang an gewiss: Diese Schnapsidee kann nicht gut ausgehen. Spannend wird es dabei sein zu sehen, wie Mara aus dieser Sache herausgeht und das ist von der ersten Seite an lesenswert und wert von allen gelesen zu werden.

Marlen Hobrack
Schrödingers Grrrl

Verbrecher Verlag
300 Seiten
24 Euro

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