Die Indies und der Deutsche Buchpreis – Edition 2022

Wo sind denn nur die Indies geblieben?

Jedes Jahr, wenn die Longlist zum Deutschen Buchpreis veröffentlicht wird, können auch kurz danach die Diskussionen gestartet werden. Zu wenig Männer! Zu wenig Frauen! Zu Divers! Zu wenig dies, zu viel das und dann kommen auch noch wir daher und meckern herum, dass zu wenig unabhängige Verlage vertreten sind. Wenn ein Auge zudrückt wird, oder wie wir sogar alle beide, dann sind mit dem Homunculus Verlag, dem Jung und Jung Verlag und dem Imprint Edition Azur, das zu Voland&Quist gehört, gerade einmal drei Verlage aus dem Bereich der unabhängigen Verlage beziehungsweise kleinen Verlage vertreten. Da gab es schon eindeutig bessere Jahrgänge. Nun ist es ja so, dass der beste deutschsprachige Roman des Jahres gesucht wird und der Deutsche Buchpreis auch kein Verlags- sondern eben ein Buchpreis ist. Und doch bemängeln wir von Jahr zu Jahr, dass die Ausrichtung und Einreichungskriterien die großen Verlage und die Verlagskonzerne bevorzugen und sie somit teilweise auch mehrfach in einem Jahrgang vertreten sein können und damit Romane verdrängen, die nicht so sehr im Fokus stehen, einfach weil bei den kleineren und Kleinstverlagen die Ressourcen dafür oftmals nicht vorhanden sind. Dabei schaffen es gerade diese Verlage Jahr für Jahr zauberhafte und sehr fein kuratierte Literatur zu veröffentlichen, denen es öfter zu gönnen wäre, einem größeren Publikum bekannt zu werden. So wie in diesem Jahr die Ehre eben den drei Verlagen und den bei ihnen erschienen Romanen zuteilwird. Doch wir wollen nicht jammern, denn der diesjährigen Jury ist abseits dessen, dass zu wenig Indies vertreten sind, eine wunderbare und wirklich breit gefächerte Longlist gelungen, die richtig viele Themengebiete streift und somit für jeden etwas dabei sein sollte.

Drei Titel aus den kleinen Verlagen

Da wir aber in unserem Metier bleiben möchten und morgen die Verkündung der Shortlist ins Haus steht, möchten wir uns natürlich auf die drei Kandidat*innen konzentrieren, die zu den unabhängigen Verlagen zu zählen sind und in diesem Jahr auf der Longlist auftauchten. Natürlich ist der österreichische Verlag Jung&Jung dabei als Ausnahme zu zählen, denn unabhängig ist er seit der Übernahme durch den Kampa Verlag Ende letzten Jahres auf keinen Fall mehr. Allerdings haben wir zum Indiebookday in diesem Jahr schon geschrieben, dass wir solche Verlagszusammenschlüsse weniger kritisch sehen und per se, solche Verlage nicht unbedingt aus unserem  Blickfeld ausschließen möchten (siehe hier: klick). Natürlich werden wir auch beobachten, wie sich solche Zusammenschlüsse, wie sie in diesem Beitrag exemplarisch genannt werden, weiter entwickeln und ob man diese zu gegebener Zeit dann doch ausschließen muss. 

Drei Titel, die unterschiedlicher nicht sein könnten

Null Bock auf Zukunft

Die drei Romane, die in aus den unabhängigen Verlagen auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2022 vertreten sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Zum einen der Roman „Freudenberg“, was auch unser Patenbuch beim Deutschen Buchpreis ist, denn wir sind in diesem Jahr in dem Kreis der 20 Buchpreisblogger*innen vertreten, der einen jungen Mann mit dem Nachnamen Freudenberg in den Mittelpunkt stellt. Dieser ist von seinen Eltern genervt und hat für sich selbst keine Perspektive, wohin sein Leben einmal gehen soll. Der Ausgangszustand des Romans ist, dass alle drei als Familie nochmal gemeinsam Urlaub machen und dazu an die polnische Ostsee an einen nicht näher benannten Badeort fahren. Die Zeit, in der dieser Roman spielt, sollte irgendwo in den Neunzigern verortet sein. Es wird zumindest ein Ereignis erwähnt, was diese zeitliche Zuordnung zulässt. Kaum im Urlaub angekommen und sich von der Aufsicht der Eltern losgelöst, geht Freudenberg durch den Urlaubsort, bis hin zu einer entlegenen Steilküste, wo er die Leiche eines polnischen Jungen trifft, der, so verwirrend das auch klingen mag, ihm fast aus dem Gesicht geschnitten ist. Und diese Gelegenheit lässt sich Freudenberg nicht nehmen und nimmt die Identität von Marek an und lässt somit seine Eltern glauben, er sei gestorben. Klingt verrückt? Das ist es auch. Mit surrealen Zuständen beziehungsweise Träumen und einem irren Plot und Twist am Ende lässt uns der Autor Carl-Christian Elze an einem kurzen Ausschnitt von diesem stillen Jungen teilhaben, der seine Eltern verabscheut und keinen Bock auf die Zukunft hat.

Wie fühlt sich Nichtsein an?

Mit „153 Formen des Nichtseins“ beschert uns die Autorin Slata Roschal ein besonderes Debüt, das mehrere Themengebiete zugleich beinhaltet und diese in eine besondere Form bringt. In 153 Kapiteln, den titelgebenden Formen des Nichtseins, gibt uns die Autorin über ihre Protagonistin Ksenia Einblick in ein Leben als Russlanddeutsche, deren Eltern unter schwierigen Umständen Anfang der Neunziger Jahre nach Deutschland gekommen sind, die bei den Zeugen Jehovas ihren Glauben ausleben und somit für das Kind, die Jugendliche und Erwachsene ein Leben formen, die sie unsichtbar für Andere sein lässt. Sie ist in keiner Welt zu Hause und hatte auch gleichzeitig durch die Ideologie und Erziehung über die Zeugen überhaupt keine Möglichkeiten, mit gleichaltrigen Kindern aus Deutschland in Kontakt zu kommen. Dieses Buch ist ein buntes Sammelsurium an Szenen und Beobachtungen aus dem Leben von Ksenia, die uns so teilhaben lässt an ihrem Werdegang zu dem Menschen, der sie heute ist. Und dieser Werdegang ist von Widerständen, vom Ankommen und Loslassen geprägt.

Nachrichten aus der Garderobe

Zu guter Letzt steht der Roman „Dagegen die Elefanten“ von Dagmar Leupold, im schon erwähnten Jung&Jung Verlag erschienen. Dieser Roman ist ein innerer Monolog eines Herren, der als Herr Harald vorgestellt wird. Er arbeitet im Theater an der Garderobe, ist somit ein Mensch, dem man zwar seine Sachen anvertraut, den man aber meist keine weitere Beachtung schenkt. Er erledigt seine Arbeit gewissenhaft und ordentlich, so dass ihn niemand bemerkt. Ihm schauen wir nun bei der Arbeit zu und wie er eines Tages in den Besitz eines Mantels mit brisantem Inhalt kommt. Was macht das mit ihm? Was wird er tun? Spannende Antworten liegen im Raum. Für welchen Weg wird sich Herr Harald entscheiden?

Alle drei Bücher unterscheiden sich enorm in Stil, Thematik,Herangehensweise, Charakterisierung ihrer Figuren und vielem mher. Carl-Christian Elze seinen Protagonisten recht forsch vorantreibt und ab und zu in Rückblicken oder surrealen Traumsequenzen zeigt, was letztendlich wirklich passiert ist und dadurch doch recht normal daher kommt. Slata Roschal dagegen formt eine bunte Mischung an Abschnitten, die in der erzählten Zeit und den aufgezeigten Personen wild hin und herspringen und einem vor allem zu Beginn des Romans die Orientierung verweigern. Und doch wirkt ihr Vorhaben zielgerichteter und als Leser*in bekommt mensch eine Ahnung, was dieses Nichtsein in allen Lebenslagen wirklich bedeutet. Und Dagmar Leupold lässt ihren Herrn Harald in einem herausfordernden Text in eine Situation stolpern, die den Charakter selbst vor einige Probleme stellt.

Prognose für die Shortlist

Es ist natürlich schwierig, für die Shortlist eine Prognose abzugeben, wenn neben den drei vorgestellten Titeln, die unserem Schwerpunkt entsprechen, vielleicht noch 2 bis 3 der nominierten Titel gelesen beziehungsweise angelesen wurden. Wenn wir uns aber auf die Indies konzentrieren würden wir uns selbstverständlich freuen, wenn alle drei Romane weiter kommen würden. Jedoch würden wir als Team sagen, dass vor allem das Buch von Slata Roschal die Qualität besitzt, unter den 6 Nominierten der Shortlist aufzutauchen und weiterhin auf den 2022er Titel des besten deutschsprachigen Romans zu hoffen. Wir sind jedenfalls sehr gespannt, ob unsere Prognose zutrifft und welche Bücher überhaupt auf die Shortlist gewählt werden. Habt ihr euch für die 20 nominierten Titel aus der diesjährigen Longlist interessiert? Und welche Romane würdet ihr gerne auf der Shortlist sehen wollen? Wir sind schon sehr auf eure Antworten gespannt.

Ein Kommentar zu „Die Indies und der Deutsche Buchpreis – Edition 2022

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